Bodyweisheit Fachliteratur

Reinhard Kugi

Auszüge aus diverser Fachliteratur

Masterarbeit "Das genitale Selbstbild der Frau" von Ann-Marlene Henning


Das allgemeine Körperbild:

Generell reichen Körperbilder also weit in die Sexualität hinein. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen wurden negative Körperbilder mit einer Fülle physischer, psychologischer und relationaler Ergebnisse assoziiert. Negativere Werte bei körperbildbezogenen Konstrukten wie z. B. Körperscham, Bewertung der eigenen Attraktivität, bestimmte Gewichtsvorstellungen etc. wurden mit einer erhöhten sexuellen Risikobereitschaft in Verbindung gebracht. Dazu gehört unter anderem ungeschützter Geschlechtsverkehrt, was beispielsweise dazu führen kann, eine Sexkrankheit zu bekommen oder unerwünscht schwanger zu werden (Akers et al., 2000; Zielinski,

2009). Es besteht also ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und zahlreichen Aspekten von Gesundheit und Sexualität.

Das genitale Selbstbild:

Frauen mit gutem Gefühl zu ihren Genitalien initiieren öfter Sex, erreichen mehr Orgasmen, sind erregter (Wiederman & Hurst, 2010) und neuen sexuellen Aktivitäten gegenüber offener. Demnach erleben sie mehr sexuelle Begegnungen und sind in sexueller Hinsicht generell zufriedener. Sexuelle Zufriedenheit korreliert ebenfalls positiv mit allgemeiner Gesundheit, Wohlbefinden sowie Lebensqualität und wirkt sich positiv auf Beziehungen und deren Stabilität aus (Sprecher, 2002; Stephenson & Meston, 2010).

Objektifizierung:

Das ständige Beobachten und Vergleichen des Körpers westlicher Frauen, das sich vor allem auf seine Größe, Form und sexuelle Attraktivität bezieht, ist längst beim

Genital angelangt: Unerreichbare Ideale werden durch die Standardisierung weiblicher Schönheit in vielerlei Medien kommuniziert, und zwar von der Unterhaltungsbranche bis zur Werbung. Aber auch gewisse soziale Traditionen versuchen, die Frauen auf ihr Aussehen zu reduzieren. Wenn Frauen jegliche Identität inklusive persönlicher Eigenschaften abgesprochen werden und sie als Folge davon als „Körper, die für den Gebrauch und den Genuss anderer zu Verfügung stehen“, behandelt werden, dann wird von sexueller Objektifizierung gesprochen (Vergl. Frederickson`s & Robert`s, 1997). Frauen, die auf diese Art und Weise verunsichert sind und sich kritisch betrachten, haben es schwerer, sich bei sexuellen Handlungen fallenzulassen. Dementsprechend richtet sich ihr Fokus dabei auf die aus der Unsicherheit resultierenden Sorgen und Ängste und nicht auf den sexuellen Genuss (Meana & Nunnink, 2006). Große Unzufriedenheit mit der genitalen Erscheinung ist generell mit mehr negativer Selbstbeobachtung während der körperlichen Intimität mit Partnern verbunden (Schick et al., 2010).

Sexuelle Subjektivität:

Unter sexueller Subjektivität (Subjektifizierung), versteht Tolman, (2005), dass eine Person eine Identität als sexuelles Wesen hat, sich zu sexuellem Genuss und zu sexueller Sicherheit berechtigt fühlt, sich sexuelle Bedürfnisse erlaubt und auch aktiv sexuelle Entscheidungen trifft. Schalet (2010) definiert das Konstrukt als die Fähigkeit, die eigene Sexualität zu besitzen, im eigenen Körper Genuss zu verspüren und das Subjekt des eigenen Begehrens zu sein. Horne & Zimmer-Gembeck (2006) nehmen an, dass eine Frau, die sich als sexuelles Subjekt annimmt, dann nicht Objekt des Begehrens anderer, sondern Subjekt ihres eigenen Begehrens ist. Sexuelle Subjektivität (Subjektifizierung) zu konstruieren, ist ein dauerhafter Prozess und schließt sowohl Psyche als auch Körper ein. Ein starkes Selbst zu entwickeln setze voraus, dass Körperempfindungen anerkannt und akzeptiert werden (Horne & Zimmer-Gembeck, 2006).

Achtsamkeit laut Sitari-Rescio (2014) aus "Sex & Achtsamkeit":

„[…] die „Wahrnehmung der körperlichen Empfindungen und entsprechend der inneren Gefühle und Gedanken, die sich im Zusammenhang mit sexueller Erregung entfalten. […] Achtsamkeit ist die stille, liebevolle, wertfreie Wahrnehmung dessen, was gerade ist, und weniger dessen, was sein sollte. Gleichzeitig ist sie eine innere Haltung, die wir uns mit der Zeit und zunehmender Praxis zu eigen machen können und die uns diese besondere Art der Wahrnehmung ermöglicht.“ [Sitari 2014, S. 17-18].

Sexuelle Entwicklung und Erfahrung aus der Studie zur Befragung zum genitalen Selbstbild der Frau (GSI):

Frauen, die mit ihren Eltern, besonders mit dem Vater, über sexuelle Belange sprechen konnten, tendieren zum positiveren GSI. Etwa die Hälfte aller Probandinnen konnte nicht mit den Eltern sprechen. In allen Sichtweisen signifikant ist auch, dass ein positives GSI mit mehr Sexualpartnern und häufigerem Sex einhergeht, und auch seltener starke Schmerzen beim Sex empfunden werden. Hinsichtlich der Thematik Schmerzen werden die Faktoren 2 und 3 signifikant: Wenig erregte Frauen, die sich wie ein Objekt fühlen, haben mehr oder stärkere Schmerzen beim Sex, als Frauen, die sich wie ein Subjekt fühlen und erregt sind. Nicht signifikant, ist der Zusammenhang zwischen dem GSI und dem Alter beim ersten Geschlechtsverkehr, wobei die deutliche Tendenz besteht, dass Frauen mit weniger positivem GSI, ihr erstes Mal später haben – oftmals, wenn sie älter als 18 sind. Was dem Zeitpunkt der Menarche anbelangt, so ist hinsichtlich der Sichtweise Berühren signifikant, dass sich unter den Mädchen, die sehr früh ihre erste Periode bekamen (mit 11-12 Jahren), mehr sehr positive GSIs zu finden sind.

Sexualfunktion aus der Studie zur Befragung zum genitalen Selbstbild der Frau (GSI):

Je positiver das GSI der Probandinnen, desto höher die Zufriedenheit mit dem Aussehen und dem Geruch des Genitals. Die Zufriedenheit mit der Gesundheit ist, in Verbindung mit dem GSI in allen Sichtweisen (Denken, Berühren, Sex) signifikant: Wer mit seiner Gesundheit zufrieden ist, verfügt über ein positiveres GSI. Gleiches gilt für die allgemeine sexuelle Zufriedenheit: Frauen die positive GSIs haben, sind sexuell zufriedener, üben häufiger Selbstbefriedigung aus und haben sich häufiger die Fähigkeit angeeignet, Orgasmen bei sich auslösen zu können, erfahren auch mehr sexuelle Gelegenheiten und haben dabei wiederum mehr Orgasmen, mit mehr Partnern. Frauen mit weniger positivem genitalem Selbstbild berühren sich seltener, im Sinne der Selbstbefriedigung, und haben vergleichsweise weniger Orgasmen (oder gar keine). Schließlich ist auch das sexuelle Selbstbewusstsein vom GSI beeinflusst: Wer ein positiveres GSI hat, ist in sexueller Hinsicht selbstbewusster. Es lässt sich demnach festhalten, dass das GSI einen großen Einfluss auf die Sexualfunktion ausübt.

Diskussion:

Das weibliche Genital ist, wie mehrfach beschrieben, kulturell schambesetzt und noch stärker tabuisiert als das männliche. Heranwachsende entwickeln immer früher ein sexuelles Bewusstsein, und junge Mädchen scheinen durch mediale Einflüsse hochgradig anfällig für Sorgen über das genitale Selbstbild zu sein. Das genitale Selbstbild, als Teil des Körperbildes, hat einen noch größeren Effekt auf die Sexualfunktion, als das allgemeine Körperbild. Wenn eine Frau sexuelle Erfahrungen mit anderen beginnt zu sammeln, ist längst ein ‚eingefärbtes’ körperliches Selbstbild da. Es macht also Sinn, kurz über die Entstehung und Konstruktion von Selbstbildern zu sinnieren. Wie entsteht allmählich ein genitales Selbstbild? Das kleine Kind entdeckt, durch neugieriges Erkunden (visuell und beim Befühlen) seinen Körper, es exploriert sich selbst. Es stellt fest, dass es andere Menschen gibt, die genauso oder eben anders aussehen. Unbewusst werden Fragen aufgeworfen und der Mensch tritt (bewusst) in Beziehung mit seinem Körper: Was ist normal? Bin ich normal? Ihm begegnen weitere Fremdbilder: Zuspruch, Scham oder hochgezogenen Augenbrauen der Eltern. Was halten diese für normal? Eine Bewertung beginnt, bis bestenfalls ‘das Eigene‘ angenommen wird. 

Die Gynäkologin Frau Dr. Bischof schreibt dazu: „Die frühe kindliche Sexualentwicklung wird – ebenso wie die übrige psychomotorische Entwicklung – einerseits durch das Wahrnehmen und Erleben des eigenen Körpers über multiple Sinnesreize ausgelöst. Andererseits findet sie statt im Kontext von Beziehungen mit den Eltern und wird durch diese nachhaltig geprägt. Sie schauen ihr Kind an, und das Kind sieht sich in ihrem Blick. Es findet ein inniglicher körperlicher Austausch statt, mit unzähligen Erfahrungen von Berührtwerden, Selbstberühren, Gesehenwerden und Sehen, Hören und Gehörtwerden, Fühlen, Vergleichen, Bewertet- und Benanntwerden. Sinnesreize, Empfindungen, Wahrnehmungen von sich selbst und der Umwelt wie auch Kodifikationen des Erlebten bilden die Grundlage für Körperbild, Selbstgefühl und die Komponenten der Sexualität.“ (Bischof, s. 7)

Weiter: 

„Mit zunehmender Differenzierung von der Mutter erfolgt auch eine Hinwendung der Tochter zum Vater. Er ist der erste ‚Mann‘ in ihrem Leben, vermittelt das erste Männerbild. Er färbt ihre erotischen Anziehungscodes, an ihm probt sie erstmals ihre Wirkung auf Männer. Seine Reaktionen auf ihr Liebeswerben wirken sich ebenso aus auf ihren Stolz, ihre Selbstsicherheit und ihr weibliches Selbstverständnis wie die Reaktionen der Mutter.“ (Bischof, 2013, s. 12.)

Und:

„Eine positive elterliche Reaktion, auf die kindliche Selbststimulation, unterstützt das Mädchen weiter darin, sein Genitale als bewohnten Körperteil zu integrieren, mit dem es sich selbst Lust machen kann und darf. Selbststimulation und die Aneignung des eigenen Genitales sind Stationen auf dem Weg zur Autonomie (...)“ (Bischof, 2013, s. 13.) 

Diese Ausführungen bestätigen Frau Ann-Marlene Henning und mich darin, wie wichtig und möglich es ist, früh genug für positivere Botschaften bezüglich Körper und Sexualität zu sorgen.

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